Tiny House Lebensstil – Passt ein Tiny House zu uns?

6. Februar 2019Marco Schaller

Wenn man, wie wir, mit dem Gedanken spielt in ein Tiny House zu ziehen, so sollte man nicht nur die Verkleinerung seines Hausrats bedenken, sondern ebenfalls die Änderung oder Anpassung der bisherigen Lebensgewohnheiten. In diesem Beitrag geht es um die objektive Betrachtung unseres Lebens im Hinblick auf den neuen Lebensraum. Also unseren Lebensstil im zukünftigen Tiny House.

Nachdem wir bereits ein idyllisches Wochenende in einem Tiny House des Tiny House Village in Mehlmeisel verbracht haben und euphorisch dem neuen Lebensabschnitt entgegenblickten, mussten wir unsere Lebensweise auf den Prüfstand stellen.

Wie leben wir heute, wie wollen wir morgen leben und passt ein Tiny House zu unserem Lebensstil?

Leben heißt Veränderung

Das Leben eines jeden Wesens auf diesem Planeten ist geprägt von ständigen Veränderungen. Kleine Entscheidungen beeinflussen große Dinge. Gewohnheiten ändern sich, Menschen verändern sich, Natur verändert sich. Esoterisch angehaucht könnte man auch sagen: Alles ist im Fluss.

Wichtig ist hierbei jedoch immer der Grad der Veränderung zur Ausgangssituation. Auch Menschen, die gerne möchten, dass alles bleibt wie es ist, verändern sich manchmal ganz unbemerkt. In kleinen Schritten fällt die Veränderung eben gar nicht mehr so stark auf.

Persönlich stehen wir Veränderungen immer sehr offen gegenüber, hinterfragen aber trotzdem kritisch und treffen (größtenteils) objektive Entscheidungen. Wir wollen prüfen, ob das Tiny House zu unserem Lebensstil passt und nicht umgekehrt. Andernfalls würden wir etwas konsumieren, dass wir überhaupt nicht brauchen oder benutzen können. Die Müllhalden in Deutschland und anderen Ländern sind voll von solchen Dingen und Gerätschaften. Zudem wäre uns die Investition in Geld und besonders Zeit zu schade dafür. Denn Geld kann man sich immer wieder erarbeiten, aber (Lebens)Zeit bekommen wir nie wieder zurück.

Wie leben wir?

Als erste Analyse betrachteten wir unsere Vergangenheit unter möglichst objektiven Gesichtspunkten. Dazu zählt auch der kritische Umgang mit Punkten, die man heute vermutlich nicht mehr so machen würde. Auch ohne ein Tiny House verändert sich der Lebensstil von Person zu Person. Aus erkannten Fehlern kann man nur lernen, wenn man es auch will.

Für mich, Marco, fängt diese Reflektion in Netzschkau bei meiner ersten eigenen Mietwohnung an. Nach jahrelanger Wohngemeinschaft in Bayern wollte ich selbst über meine (Un)Ordnung bestimmen. Meine Suche nach den eigenen vier Wänden gipfelte in einer Wohnungsgröße, die für eine vierköpfige Familie ausgereicht hätte. Die Räume wollten natürlich gefüllt werden. Mit einem riesigen Sofa, einem übergroßen Kleiderschrank und einem Esstisch für acht Personen. In Summe konnte ich bis zu zwölf Personen aus dem Freundeskreis oder der Familie zu verschiedenen Anlässen bewirten. Die Abschlussbilanz nach zweieinhalb Jahren brachte es gerade einmal auf fünf solcher Anlässe. Und schon während der Zeit in der Wohnung wurde mir bewusst, dass hier etwas falsch lief.

Tiny House Lebensstil Marcos alte Wohnung

Den Fokus neu ausrichten

Denn eigentlich kann ich mit großem Besitz wenig anfangen. Ich brauche keine riesige Wohnung, kein großes Auto und keine teuren Statussymbole. Mein Fokus lag und liegt eher auf folgenden Punkten:

  • Eine Basis, ein Ort zum Krafttanken, der nach meinen Vorstellungen gestaltet ist.
  • Zeit mit Freunden und Familie verbringen (die mir unter anderem während meiner sechs Jahre in Passau immer gefehlt hatten)
  • Meine Freizeitaktivitäten ausleben (Kochen, Fahrradfahren, Skaten, Wakeboarding, usw.)

Jennys Antwort auf die Frage nach der Ausrichtung ihres Lebens und der Verbindung zum Wohnraum fällt ebenfalls, sagen wir mal, sehr nüchtern aus. Sie ist ständig unterwegs, sei es wegen des aktuellen Berufes, sportlicher Aktivitäten, Sprachkurse oder der Nutzung kultureller Angebote. Die Wohnung bedeutet für sie vor allem Schutz vor Regen und Kälte, einen Schlafplatz zu haben sowie durchatmen zu können, bevor es auf die nächste Reise geht.

In ihrem Leben will sie vor allem:

  • Mit interessanten und tiefschichtigen Menschen kommunizieren
  • Vielfältige Kultur erleben und das Leben in seiner Gänze genießen
  • Wenig Zeit zum Putzen aufwenden - "Wer möchte das nicht?"

Die Welt hat noch viele interessante Orte zu bieten, die von uns entdeckt werden wollen. Möchte wir diese Liste auch nur ansatzweise abarbeiten, so würde unsere Wohnung immer mehr zu einem Hotelzimmer werden. Wir wären kaum zu Hause und würden trotz aller interessanten Eindrücke auf diesem Planeten unsere eigenen vier Wände, unsere Basis, vermissen. Da ist die Idee, das eigene Bett oder gleich das ganze Haus überall mit hinnehmen zu können, doch perfekt.

Wir planen - und das Leben macht sein Ding

Für das Leben im Tiny House kann man zwar viel vorausplanen, aber glücklicherweise auch nicht alles. Schließlich wäre ein Leben ohne Überraschungen auch ziemlich langweilig. Und manche Sachen brauchen trotz Berechnung und Planung ausreichend Freiraum für Spontanität und Leidenschaft. Zum Beispiel die Familienplanung.

Wir haben zwar im Tiny House genügend Platz für uns, aber wie die Situation (mittel- und langfristig) mit einem Kind wäre, können wir jetzt noch nicht abschätzen. Wir werden das jedoch bereits bei der Planung beachten und die möglichen Vorbereitungen entsprechend umsetzen.
Im Schlafzimmer ist genügend Platz für das Kinderbettchen angedacht und mit wenigen Handgriffen lässt sich am Büroloft eine Wand einziehen, sodass daraus ein Kinderzimmer entstehen kann.

Passt ein Tiny House zu unserem Lebensstil?

Unsere Einstellungen und Grundausrichtungen betrachtend, kamen wir zu dem Schluss, dass unsere Wunschvorstellungen vom Leben durchaus in ein Tiny House passen. Weiterhin können wir als mobile Weltenentdecker immer da sein, wo es uns gefällt. Auch gerne abseits von den Mainstream-Zielen aus diversen Instagram- und Facebookposts.

Unser Tiny House wird gleichzeitig mobiles Büro, Ferienhaus, Wohnwagen und FoodTruck sein, wir sind überall zuhause und fahren erst weiter, wenn wir wollen. Ganz nah am Puls des Lebens und doch fern ab von hektischem Trubel.

Wir können uns die Zeit nehmen, die Landschaft und Menschen zum Entdecken brauchen. Kein Fahrplan drängt zum Aufbrechen – unsere Neugier gibt den Takt an.

Unsere Basis und die schützenden vier Wände haben wir auch immer dabei. Wir können Freunde und Familie einladen und genauso leben wie bisher. Oder etwa nicht?

Worauf müssen wir verzichten?

Der begrenzte Raum setzt uns vor die Problematik in Zukunft nur noch vier bis maximal sechs Personen im Tiny House empfangen zu können. Gehören damit aber Spieleabende mit Freunden oder ein Brunch mit der Familie der Vergangenheit an? Nein, nur die Ausrichtung ist eine andere.

Denn das Tiny House bietet genügend Platz für alle, zumindest vor der Tür. Für größere Runden empfiehlt sich daher entweder ein Termin zwischen April und September. Auch im Hinblick auf die lauen Sommernächte. Oder wir reservieren für alle Gäste einen Tisch in einem Restaurant z.B. für einen Sonntags-Brunch. Dabei können sich alle auf die gemeinsame Zeit einlassen, anstatt ihre Gastgeber in der Küche suchen zu müssen. Das große Aufräumen im Anschluss entfällt ebenso – eigentlich genial. Zudem erhalten und beleben wir die Wirtschaft, da wir die vorhandenen kulinarischen Angebote nutzen. Bewohner ländlicher Gegenden kennen das Gastrosterben sicher zur Genüge.

 

Weniger ist mehr

Ein weiterer Ansatz ist es, die Gruppengröße zu überdenken. Je weniger Personen, desto intensiver der Informationsaustausch. Wir erfuhren das Dilemma auf einer privaten Sommerparty (mit mexikanischem Motto), die wir im Rahmen unserer bereits verstrichenen Geburtstage gaben. Dutzende Freunde und Familienmitglieder waren geladen. Es wurden Spiele veranstaltet, selbst zubereitete Speisen serviert und als Höhepunkt gab es einige Lieder eines befreundeten Künstlers, dem Schraubenyeti, zu hören. Alle hatten einen super Abend, aber als Gastgeber „rannten“ wir förmlich von Gast zu Gast und konnten bei unseren Gesprächen nicht wie gewünscht in die Tiefe gehen.

Des Weiteren soll und muss man auch nicht alle gemeinschaftlichen Abende alleine ausrichten Schließlich wechselt man sich meist ganz automatisch ab. Daher können wir uns auch gerne mal einladen lassen.

Eine Anpassung des Lebensstils ist ganz schön kompliziert!

Selbstverständlich werden wir uns aufgrund des geringen Platzes im Tiny House von nicht benötigtem Inventar trennen. Das fällt uns von Fall zu Fall nicht immer leicht. Gerade beim Equipment für sportliche Aktivitäten muss man genau überlegen.

Die Fahrräder werde wir behalten, schließlich werden diese fast täglich genutzt.
Auf Snowboard oder Ski können wir verzichten, fahren wir doch nur 1-2x im Jahr. Oder doch nicht?
Wenn wir Ausrüstung ausleihen, kostet das ja auch wieder Geld. Dann vielleicht ganz aufhören?
Aber dafür macht es dann wieder zu viel Spaß. Und was ist mit der Umwelt?

Fragen über Fragen – eigentlich müssen wir bei jedem Stück unseres Inventars prüfen, ob die damit verbundene Lebensweise noch aktiv gelebt wird.
Unser Fokus liegt auf Kochen, Sport, Gesellschaft, Reisen und Kultur. Für die beiden letzten Punkte ist die kleine Größe des Tiny House nicht entscheidend. Und bei den anderen Punkten wollen wir uns nicht einschränken. Aber wir wollen mit den Möglichkeiten, die sich uns bieten, intensiver leben.

Nicht immer einfach, aber einfach konsequent

Einen wirksamen Weg konnte ich durch Jennys Mutter kennenlernen. Eine erhöhte Erwartungshaltung wird durch Konsequenz in der Entscheidung vermieden. Einfach erklärt, wird der Terminplan für Treffen mit Freunden und Familie lange vorausgeplant und dann auch eingehalten. Dieses konsequente Zusagen oder Ablehnen von Terminen und Treffen führt damit zur seelischen Ruhe ihrer selbst. Haben wir uns mal wieder eher spontan für einen Besuch zu Kaffee und Kuchen entschieden, werden wir natürlich nicht abgewiesen, aber wir bleiben auch nicht über Gebühr.

Und eines kann ich mit Gewissheit sagen:  Es gab nie eine Aussage, dass ihr ein Abend oder Treffen mit Freunden nicht gefallen hätte. Wie auch. Sie quetschte diese wertvollen Momente ja nicht einfach zwischen ihre anderen Verpflichtungen, wie es die Menschheit im Beruf mit Besprechungen, Aufgaben, Todo’s und dergleichen mehr macht.

Menschen zu treffen, die einem nahestehen, folgt nicht der Formel „Je mehr, desto besser“. Hier geht es vielmehr um die Qualität der Zeit, die man aufwendet.
In der Wirtschaft und im Arbeitsleben mag der Leitspruch gelten: Zeit ist Geld.
Im Privaten aber ist Zeit einfach nur unglaublich kostbar und wir sollten jeden Moment hellwach und intensiv genießen.

Genauso intensiv wollen wir mit unserem Tiny House leben. Jeden Moment hellwach genießen, Kompromisse mit der neuen Lebenssituation schließen, aber dabei unsere Gewohnheiten nicht über Bord werfen.

In nächsten Beitrag werfen wir ein Auge auf die Versorgung im Tiny House und werden dabei zwischen klassischer Netzanbindung und reiner Autarkie, also der Selbstversorgung mit Strom und Wasser, entscheiden müssen.

Bis zum nächsten Mal.

Marco & Jenny


Bildnachweise

Alle Bilder: Tiny House Tour

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